Da anscheinend Interesse besteht, möchte ich hier einen Thread für Linienstrahler erstellen.
Echte Linienstrahler haben die Besonderheit, dass sie eine Zylinderförmige Welle abstrahlen. Das heißt, eine ideale Linienquelle ist unendlich lang.
In der Praxis reicht es aber nach meinen Simulationen, wenn die Länge größer ca. 1,5 m ist, solange die Treiber direkt am Boden beginnen. Denn dann fungiert der Boden als Spiegel und erzeugt Spiegelquellen, die die Linie virtuell in ihrer Länge vergrößern.
Eine Zylinderwelle hat folgende Eigenschaften:
- Der Pegel fällt mit nur 3 dB pro Entfernungsverdopplung
- Seitliche Reflexionen sind bezogen auf den Direktschall lauter als bei einem Kugelstrahler (siehe 1)
- Die Lokalisationsrichtung ist über die gesamte Höhe immer senkrecht zur Linie. Das heißt, die Schallereignisse wandern vertikal mit dem Kopf, wenn man aufsteht.
Hier ist der Pegel über der Entfernung einer 2 m langen Linienquelle, die direkt auf dem reflektierenden Boden steht. Die Amplitudengänge sind normiert auf 2 m Entfernung.
Man bekommt also im Raum eine relativ gleichmäßige Beschallung. Sowohl über die Entfernung als auch über die Höhe. Das passt über mehrere Sitzplätze hinweg besser zu einem DBA als ein Kugelstrahler.
Seitlich hängt alles von der horizontalen Richtwirkung ab. Das ist aber keine besondere Eigenschaft von Zylinderwellen.
Das Problem bei einer endlichen Linie ist, dass sich die Zylinderwelle frequenzabhängig bis zu einem bestimmten Abstand formt. Das heißt, dass sowohl die Frequenz als auch der Abstand Einfluss auf die Wellenform besitzen! Ist die Linie für die Wellenlänge zu kurz, so breitet sich der Schall kugelförmig aus. Ist der Abstand zu groß, so geht die Zylinderwelle in eine Kugelwelle über. Die Länge der Linie wird als primär von der gewünschten unteren Grenzfrequenz und von der Hörentfernung bestimmt.
Ein weiteres Problem ist, die Abstände zwischen den Treiberzentren gering zu halten. Sofern man keine meterlangen Magnetostaten oder AMTs einsetzt, bleiben nur kleine Kalotten übrig. Hier kommt man, sofern unter 2 kHz getrennt werden soll, nicht unter ca. 4 cm Abstand. Das erzeugt Nebenkeulen bei ca. 8 kHz.
Länge und Treiberabstände sind also die beiden Kernprobleme. Wenn ein funktionierender Linienstrahler mindestens 1,5 m hoch sein muss, wird er durch die schiere Anzahl an Treibern nicht günstig. Das heißt, es ist unmöglich (!) einen günstigen Prototypen zu bauen, der nahe am Endprodukt ist. Denn jede Einschränkung bezüglich Länge und Treiberabstände schränkt sofort massiv die Funktionsweise ein, also den Aufbau einer möglichst weit reichenden und breitbandingen Zylinderwelle.
So viel zur vertikalen Dimension.
Das horizontale Abstrahlverhalten ist allerdings nicht weniger eine Herausvorderung. Denn prinzipbedingt kann man bei einer Mehrwegelinie die Treiber nicht übereinander anordnen. Also bleiben folgende Möglichkeiten:
1. Breitbänder
Wegen dem Abstand der Treiberzentren fallen alle größeren Breitbänder raus. Und die kleinen 1" lassen sich meist nicht tief genug zu einem Subwoofer trennen. Ansonsten gab es von Bohlender & Graebener mal den RD75, ein sehr langer Magnetostat, der als Breitbänder eingesetzt werden konnte. Leider wird der nicht mehr hergestellt.
2. Wege nebeneinander
Man kann die Wege nebeneinander anordnen und die Trennfrequenz so legen, dass kaum destruktive Interferenzen auftreten. Dafür müssen die Abstände der Wege gering sein. Also so z.B.
Das klappt grundsätzlich recht gut und ist einfach umzusetzen, allerdings können die Tieftöner nicht zu groß ausfallen. Was aber bei einer Anbindung an ein Subwoofersystem kein Problem darstellt. Die Abstrahlung wäre horizontal dann sehr breit. Es bieten sich z.B. 0,75"-Kalotten und 4"- 6" Tiefmitteltöner an.
3. Wege hintereinander
Der einfache Fall ist der, den MEG auch anwendet. Also die Hochtöner auf einer Schiene vor den Tieftöner zu platzieren. Das horizontale Abstrahlverhalten ist allerdings durch die rückwärtigen Reflexionen katastrophal. Hier eine 2D-Simulation:
4. Alle Wege im Waveguide
Es gibt die Möglichkeit, die Hochtöner in eine Schallführung zu setzen und die Mitteltöner dahinter. Die Mitteltöner strahlen also durch kleine Löcher im Waveguide. Seeburg hat so etwas z.B. umgesetzt. Hier gibt es die vollen Messungen zu der GL16. Ohne starke Entzerrung läuft bei diesem Prinzip gar nichts. Die Löcher vor dem Mitteltöner wirken wie ein Helmholtzresonator.
Ansonsten lässt sich ein Linienstrahler natürlich auch mit anderen Abstrahlprinzipien wie Dipol, Kardioid oder Halbraum (Wandeinbau) kombinieren. Das hat auf die Zylinderwelle an sich keinen Einfluss.
Bisher habe ich nur von identischer Ansteuerung der Treiber gesprochen. Es gibt natürlich auch noch das sogenannte Shading. Dabei werden die Treiber mit unterschiedlichen Pegel und ggf. mit unterschiedlicher Verzögerung angesteuert. Besonders hervorzuheben ist da der Constant Beamwidth Transducer (CBT) von Keele. Als gekrümmte Version lässt der sich auch komplett passiv realisieren. Soll er gerade sein, sind Verzögerungen notwendig, also jeweils ein DSP pro Treiber. Der Material- und Testaufwand ist natürlich in dem Fall enorm.
Ich denke, das reicht erstmal für den Anfang. Diskussionen sind gerne willkommen.