Da das Thema gerade wieder aufkam und immer wieder Dinge vermischt werden, möchte ich einmal kurz anreißen, was es bei Lautsprecher mit dem Zeitverhalten auf sich hat.
Es gibt zwei zeitliche Aspekte an einem Lautsprecher:
- die Phasendrehung durch die Frequenzweiche (Hoch-/Tiefpass) und die natürlichen Flanken der Treiber
- die Laufzeitunterschiede zwischen den Schallentstehungsorten (SEO) der Treiber
Beide Phänomene haben unterschiedliche Ursachen und wirken sich auf den komplexen Frequenzgang und damit auch auf die Impuls-/Sprungantwort aus.
Phasendrehungen
Phasendrehungen sind frequenzabhängige Verzögerungen. Die Phasendrehungen der Frequenzweiche können je nach Flankensteilheit die Impulsantwort extrem stark deformieren. Man erkennt den Dirac-Impuls danach quasi nicht mehr wieder, selbst wenn die Zweige untereinander die korrekten Laufzeiten besitzen. Hier mal die Übertragungsfunktionen der Frequenzweise eines typischen 3-Wegers. Man sieht den Amplituden- und Phasengang der Filter.
Tieftöner:
Mitteltöner:
Hochtöner:
Summe:
Bei der Summe sieht man, dass keinen reine konstruktive Überlagerung stattfindet. Das liegt daran, dass der Mitteltöner zwei Filter besitzt, deren Phasendrehungen noch in den jeweils anderen Bereich wirken. Für eine rein konstruktive Interferenz müsste man den jeweiligen anderen Filter noch zum Tief- und Hochtöner hinzufügen. Das lasse ich hier aber mal weg, da es in der Realität normalerweise auch nicht gemacht wird.
Die Impulsantwort der Summe sieht dann so aus:
Das heißt, diese typische Form stammt ausschließlich von den Filtern der Frequenzweiche. Sie tritt also auch auf, wenn die Treiber keine Laufzeitdifferenz zueinander besitzen.
Phasendrehungen haben die Eigenschaft, dass sie die Gruppenlaufzeit erhöhen. Die Gruppenlaufzeit ist die negative Ableitung des Phasenganges. Je stärker die Phasendrehung, desto höher ist die Gruppenlaufzeit. Wird die Phase per FIR entzerrt, so ist auch gleichzeitig die Gruppenlaufzeit entzerrt. Gleiches gilt für das Abklingspektrum. Es handelt sich im Grunde nur um unterschiedliche Darstellungen derselben Sache, nämlich des komplexen Frequenzgangs.
Gruppenlaufzeit der Summe:
Der Phasengang eines Mehrwegers kann per FIR-Filter "über alles" entzerrt werden. Dazu muss man aber sagen, dass das in der Regel nahezu unhörbar ist. Am Rechner kann jeder einen Selbsttest machen. Man braucht nur ein Faltungsplugin für Foobar2000 und kann sich mit rePhase die Kompensationsfilter erzeugen.
Laufzeitdifferenz
Eine Laufzeitdifferenz, also eine frequenzneutrale Verzögerung, erzeugt ein anderes Phänomen, nämlich eine Addition, die nicht mehr rein Konstruktiv ist. Diese ist dann im Amplitudengang als Einbruch sichtbar.
Laufzeitdifferenz von 2 ms (entspricht einer halben Wellenlänge bei 500 Hz):
Da die Laufzeitdifferenz durch die Addition entsteht, kann sie im Nachhinein nicht entzerrt werden. Man kann zwar den Amplitudengang anheben, wenn die Auslöschung nur partiell ist. Aber das klappt nur unter einem Winkel. Das Abstrahlverhalten lässt sich dadurch nicht entzerren.
Die Invertierung/Verpolung ist übrigens kein Zeitphänomen, auch wenn sie gerne dazugezählt wird. Sie ändert zwar die Impulsantwort massiv (invertiert sie), erzeugt aber keine Verzögerung.
Ich hoffe, das bringt etwas Licht ins Dunkel. Fragen sind willkommen!