Bewaffnet mit Popcorn, Chips und Getränken habe ich die Tage meine letzte Tour mit dem Mann vom MI6 gemacht,
Keine Zeit zu sterben / No Time to Die (2021)
Wer den Film NICHT gesehen hat - NICHT weiterlesen! Ich verzichte diesmal auf Spoiler, das funktioniert sonst nicht richtig.
Film: 8/10 - Nach dem vierten Teil hatte Craig sich eine Weile komplett einer Fortsetzung verweigert, nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Verletzungen während der Bond-Drehs. So kursierten bisweilen irrsinnige Summen bis zu 150 Mio $ Gage für zwei weitere Filme nach Spectre, bis Craig schließlich doch noch ein letztes Mal zusagte, für lediglich 25 Mio $ - einem Zehntel des Gesamtbudgets (welches wiederum 250mal so hoch war wie Connerys Einstand 1962; lauter schöne, runde Zahlen). Waltz knüpfte die Rückkehr Blofelds an Craigs Rückkehr (woraus lange ein Geheimnis gemacht wurde, bis man ihm am Set entdeckte; daraufhin wurde die Werbekampagne gründlich umgebastelt). Auch sonst ging es vor Produktion bis in die Post reichlich turbulent zu, selbst für Bond-Verhältnisse. Der ursprüngliche Regisseur verließ kurz vor Drehbeginn die Produktion und wurde durch Cary Joji Fukunaga ersetzt, Dan Romer (der schon vorher für Fukunaga Musik geschrieben hatte) verließ während der Post die Produktion und wurde durch Hans Zimmer ersetzt. Allesamt wegen "kreativer Differenzen".
Bond ist nach der Festnahme Blofelds ausgestiegen und fährt mit Madeleine Swann nach Matera. Swann konnte ihn davon überzeugen, am Grab von Vesper Lynd Abschied zu nehmen und endlich abzuschließen. Am Grab wird Bond Opfer eines Bombenanschlags ... durch SPECTRE. Er eilt zurück zu Swann, wähnt er sie doch in höchster Gefahr. Doch Bond ist Bond, irgendwie kommt ihm das alles spanisch vor und er verdächtigt sie, SPECTRE auf seine Spur gebracht zu haben. Nach wilder gemeinsamer Flucht setzt er sie in einen Zug auf Nimmerwiedersehen. Schnitt - Titelsequenz (wieder: Daniel Kleinman, mit einer schönen Hommage an Maurice Binders Titel für Dr. No).
James ist nach Matera untegetaucht und fünf Jahre sind vergangen. Dem MI6 kommt eine genetische Waffe abhanden, dies es mittels Nanotechnologie ermöglicht gezielt einzelne Personen, Familien oder gar ganze Rassen auszulöschen. Felix Leiter (ein drittes Mal dabei: Jeffrey Wright) wirbt James für die CIA an, um Waffe samt Forscher zu sichern. Der MI6 derweil entsendet Nomi (Lashana Lynch), um Bond von einer Einmischung abzuhalten. Aber das kennen wir ja schonzu Genüge, Bond macht was Bond will und hilft der CIA aus.
Selbst diese recht lange Zusammenfassung kratzt nur an der Oberfläche des mit rund zwei Stunden 45 Minuten mit Abstand längsten Bonds. Rami Malek, trotz auf entstellt geschminkt, spielt den etwas blassen Bösewicht Safin, Ana de Armas (die Craig zuvor in "Knives Out" kennen- und schätzengelernt hatte und unbedingt dabei haben wollte) liefert einen wunderbar-furiosen Kurzauftritt ab, und natürlich sind auch M, Q und Moneypenny mit von der Partie. Craig brachte vor Drehstart Phoebe Waller-Bridge ins Team um das Drehbuch zu polieren und ein wenig humoriger zu machen. Unter Anderem, so vermutet man, ist es ihr zu verdanken dass de Armas' ursprünglicher Cameo erheblich ausgebaut wurde und uns eine der coolsten Sequenzen in Bond #25 liefert.
Craig hatte 15 Jahre zuvor gesagt, zur Zeit von Casino Royale also, dass Bond den Leinwandtod sterben müsse wenn er (Craig) aus der Reihe ausscheidet. Nun passiert es, in Craigs Jubiläumsjahr (womit er von allen Darstellern die längste Dienstzeit hatte, nimmt man den inoffiziellen Sag' niemals nie raus) stirbt Bond. Im 25sten Teil. Er bringt die 5 Craig-Teile zu einem runden Schluss, zitiert vorherige Teile und wirkt über Strecken auch wie ein ganz persönlicher Abschied von und für Craig. Dass man sich in diesem Film zwischenzeitlich wie bei Moore in einem Connery Bond fühlte, macht für mich eher noch ein - in meinen Augen gut gemachtes - Schleifchen drum als dass ich es als Schwäche sehe. Tomaten #7, Meta #6, imdb #4 - insgesamt ist dieser Film eher gut als schlecht angekommen.
Bild: 9/10 - diesmal steht ein Schwede hinter der Kamera. Linus Sandgren, der häufig mit Damien Chazelle zusammenarbeitet, beschert dem Film zahlreiche wunderschöne Aufnahmen und wie zwei Teile zuvor arbeitet er viel mit dem Spiel aus Licht und Schatten. JJ Abrams dürfte sich über manchen Lensflare freuen, Michael Bay sagt "I Like" zu der Tatsache, dass mindestens zwei Drittel des Films während Sonnenuntergängen spielen. Das ist mitunter etwas nervig, jetzt aber gesagt. Der ewige Sonnenuntergang bringt satte Farben, tolle Kontraste, und apropos Licht, mehr HDR Highlights gab es noch nie in der Reihe. Und ein technisch besseres Bild auch nicht: erstmals wurden einige Sequenzen im 65mm IMAX Format gedreht und was es da mitunter zu sehen gibt ist in jeder Hinsicht eine Wucht. Viele Sequenzen haben einen eigenen Look - etwa die Szenen in Safins Basis, die weich und mit reichlich Bokeh die tatsächliche Situation optisch konterkarieren - wirken aber insgesamt doch wie aus einem Guss und sind technisch definitiv erste Liga.
Safins Basis wirkt über Strecken wie eine Hommage an die frühen James Bonds, wo Bösewichte noch irre Verstecke auf entlegenen Inseln hatten. Sehr schön, der Fan freut sich. Auch darüber, dass der böse Wissenschaftler wieder ein Russe ist - auch dieser Kreis zu den Anfängen der Reihe schließt sich. Aston Martin konnte einige (natürlich, silberne!) Modelle im Film unterbringen. Kurzum, der letzte Teil der Reihe zitiert reichlich aus seinen Vorgängern, und tut das alles mit einem technisch wie handwerklich erstklassigen Bild.
Ton: 8/10 (englisch TrueHD) - auf allen Kanälen ist der Teufel los, der Subwoofer mischt fleißig mit, es geht sowohl reichlich rabiat als bisweilen auch sanft und leise zu. Bond macht auch akustisch großen Spaß! Negativ sei erwähnt, dass der Ton zwar durchaus dynamisch ist, aber nicht immer ganz harmonisch. Stimmen sind in ruhigeren Passagen manchmal sehr laut abgemischt, so dass der wirklichen Action dann die Luft nach oben fehlt. Vor dem Orchestergraben, pardon, gerne auch den Synthesizern, sitzt diesmal Hans Zimmer. Der Mann, der seit "The Rock" der Mann für "epic" ist, liefert auch hier ab. Zimmer-Bläser kombiniert mit Bond-Motiv-Fetzen - ein großer Spaß!
Allerdings zitiert er auch die leisen Töne / das Thema aus Lazenbys Auftritt "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" und schließt sich damit einem frühen Zitat Bonds im Film "Wir haben alle Zeit der Welt" auch akustisch an - gleichzeitig der Titel der im Abspann in der Version von Louis Armstrong läuft. Verweise und Zitate auch hier - viel Fanservice, der nicht immer ganz offensichtlich ist.
Ohne Gags geht es freilich nicht - de Armas' Zitat "ich hatte nur drei Wochen Training" entspricht tatsächlich der (echten) Tatsache, dass sie sich lediglich besagte drei Wochen auf ihren kurzen Dreh vorbereiten konnte und arg besorgt war, dass man das sehen würde ;) Genauso das Knie in das die neue 007 droht, James zu schießen - es ist das Knie, was sich Craig durch die Bond-Drehs noch nicht völlig ruiniert hatte.
Viel war darüber zu lesen, dass Craig und Broccoli mit dem Jubiläumsbond reinen Tisch machen wollten, so dass ein neuer Darsteller frisch würde anfangen können. Noch Ende 2024 ließ Craig verlauten "Er ist tot! Wie oft muss ich ihn denn noch in die Luft jagen? Er ist in klitzekleine Teile zerlegt ... Er ist mit einem Virus infiziert, der seine Familie töten würde, also gibt es keine Möglichkeit, dass er zurückkommt."
Im Herbst 2021 lief "Keine Zeit zu sterben" in den Kinos an, ein paar Monate zuvor hatte amazon MGM gekauft. Anfang dieses Jahres schließlich platzte die Bombe, dass Barbara Broccoli für 1 Mrd $ ihre Herrschaft über Bond verkauft hatte. Sie wurde jahrelang für den Widerstand gefeiert, den sie amazon entgegenbrachte, doch schließlich war sie es müde. Kurz zuvor hatte Mit-Produzent Michael G. Wilson das Handtuch geworfen und nun geht auch sie.
Vor dem Hintergrund der ungewissen, aber sicher nicht rosigen Zukunft des Franchises, wirkt Bond #25 noch viel mehr wie ein langer Abschied. Bond, oberflächlich der immer gleiche Mix aus Frauen, Autos und Wodka Martinis, hat sich über 60 Jahre weiterentwickelt, war immer Zeugnis des sich wandelnden Zeitgeistes. Und James Bond war bis zuletzt zu einem Großteil eine Familienproduktion. Angefangen beim Produzenten-Duo sind etliche Beteiligte hinter den Kulissen seit Jahren, Jahrzehnten der Reihe treu geblieben. Ohne "Mama Broccoli" wird sich diese Familie in alle Winde zerstreuen -- und ich schließe mit Wehmut und M's Schlussworten (einem gekürzten Zitat Jack Londons) an James:
The proper function of man is to live, not to exist. I shall not waste my days in trying to prolong them. I shall use my time.
( Die eigentliche Aufgabe des Menschen ist es, zu leben, nicht zu existieren. Ich werde meine Tage nicht mit dem Versuch verschwenden, sie zu verlängern. Ich werde meine Zeit nutzen. )