Beiträge von mbischo

    Eurozentrismus bezog ich ja hier nicht auf das Denken von Individuen, das wäre tatsächlich hohl. Ich denke überhaupt grundsätzlich eher in Systemen und Strukturen (ohne, dass ich Systemtheorie jetzt hier erläutern kann). In wie weit dieser zu heutigen Problemen in den von Dir genannten Regionen führt oder auch nicht, wäre an anderer Stelle zu vertiefen.


    "Systemhure" würde ich nie sagen und es geht hier auch nicht um einen Wettstreit, der Überlegenheit demonstrieren soll. Den besten Übersetzer gibt es nicht, da es die beste Übersetzung nicht gibt; dafür ist (literarische) Sprache zu uneindeutig, aber eine kulturelle Nähe zum Ausgangstext kann möglicherweise helfen. Vielleicht braucht es aber auch viel mehr ein Kollektiv um auch Außenperspektiven einnehmen zu können.

    mbischo Darf ich mal freundlich fragen, ob Du so schreibst, um auf Deinen Intellekt aufmerksam zu machen, oder denkst Du auch so?

    Für mich ist präzise Sprache tatsächlich nicht unwichtig und sie prägt auch mein Denken -- sämtliche Fachsprache durch Erläuterungen zu ersetzen erschwert die Kommunikation dann auch wieder und ist eben auch nicht trivial.


    Um bei einem meiner anderen Beispiele zu bleiben: Wenn jemand nicht weiß, wie man mit komplexen Zahlen rechnet, wird es eben auch schwierig, sich über bestimmte Bereiche der Mathematik zu unterhalten.


    Ich lebe aber auch nicht davon, hier gehört zu werden und einen Preis für Wissenschaftsvermittlung werde ich auch nicht mehr gewinnen, von daher ist es sicherlich richtig, darauf hinzuweisen, dass es schwierig ist. Andererseits habe ich an einer Stelle etwas polemisch zugespitzt und das ist von Jürgen dann auch sofort erkannt und zurecht bemängelt worden.

    Zu dem anderen Beitrag nur kurz: Die sexuelle Orientierung spielte in meiner Betrachtung bisher keine Rolle. Die Abschaffung des biologischen Geschlechts stand nicht im Raum, es ging viel mehr um die Probleme seiner wissenschaftlichen Etablierung innerhalb kulturell erschaffener Systeme, die sich u. A. im Bereich Sport ja zeigen. Diese Abschaffung klingt für mich jetzt eher nicht nach Wissenschaft, sondern nach Aktivismus.


    Beim pay gap bin ich jedoch in einem Punkt anderer Meinung: Die Tatsache, dass Frauen durch Strukturen eher in Berufe gedrängt werden, die schlecht bezahlt sind, sollte keinesfalls dazu führen, dass eine Lehrerin so bezahlt wird wir ein Hirnchirurg, sondern es sollten die Strukturen verändert werden. Der Beruf als Lehrerin ermöglicht es der Frau, sich mit den entsprechenden Unterbrechungen um die Erziehung der Kinder zu kümmern, während der Mann seine Karriere im DAX-Konzern aufbauen kann und da lagen wir ja dann wieder beieinander.


    So und jetzt muss ich mal sehen, ob das Rätsel weitergeht :)

    Es wäre mir neu, dass man vergangenes Unrecht dadurch beseitigt, dass man neues begeht. Das mag menschlich verständlich sein. Weder in der Wissenschaft, noch im Recht sollte es leitender Gedanke sein. Das hat Südafrika mit der Wahrheitskommission ganz gut gemacht. Das halte ich für eine bessere Aufarbeitung, als mit der Begründung, dass in vergangenen Jahrhunderten Menschen, die ähnliche Merkmale aufwiesen wie ich, Menschen, die ähnliche Merkmale aufwiesen, wie der Akteuer, benachteiligt und ausgebeutet haben, heute jemanden zu benachteiligen. Weder philosophisch, noch moralisch und schon gar nicht rechtlich überzeugend.


    VG

    Jürgen

    Deshalb sagte ich ja auch, dass es als Konsequenz nicht um neue Verbote gehen muss, sondern um die Bewusstmachung des Problems.

    Nein, meine Aussage bezog sich noch grundsätzlicher darauf, dass die wissenschaftliche Disziplin oder die Disziplinen, die solche Beobachtungen machen oder Unterscheidungen versuchen, kulturelle Konstrukte und nicht die "Natur" selbst sind. Dass es Ansätze gibt, die Trennung zwischen konstruiertem und performiertem "gender" und völlig kontextfreiem "sex" in Frage zu stellen, führt uns hier wohl nicht weiter. Aber selbst wenn wir Geschlecht biologisch zu bestimmen versuchen, ist dies nicht trivial.

    Wunderbar auch die Diskussion, ob ein weißer, alter Mann die junge, schware Dichterin Amanda Gorman übersetzen dürfe. Natürlich nicht! Es muß schon eine Frau sein, mit Migrationshintergrund bitte! Ich halte derartige Vorgaben für intolerant, unfrei und gefährlich.

    Das Problem ist doch, dass über Jahrhunderte schwarze zumal Frauen überhaupt nicht schreiben konnten oder durften und oder nicht verlegt wurden und dass über eben diese Jahrhunderte die wenigen Werke, die es gibt, dann von alten, weißen, christlichen, was auch immer Männern übersetzt wurden, die ohnehin schon sämtliche Diskurse bestimmt und dominiert haben.


    Trotzdem sollen die Werke übersetzt werden und es muss in Europa auch eine Amerikanistik geben dürfen, in der weiße Männer dazu forschen und lehren. In den differenzierter dazu geführten Diskussionen geht es also nicht um irgendwelche Verbote, sondern um den Versuch dieses rein quantitative Ungleichgewicht ins Bewusstsein zu rufen.


    Zugespitzt: Dass es über Jahrhunderte großen Bevölkerungsgruppen verboten und oder nicht möglich war, auch nur irgendetwas zu äußern ist das ursprüngliche Problem, wenn das also der Maßstab ist, kann sich heute niemand ernsthaft beschweren, wenn man Mal in die andere Richtung denkt.

    Da Du ja ein wahrer Wortakrobat bist, die ernstgemeinte Frage - was ist denn der Unterschied zwischen "Erforschung" und "Beforschung"?

    Ja, "erforschen" ist mir zu teleologisch; es erweckt also zu sehr den Anschein, als könnte man etwas abschließend auf einen erreichbaren und genau definierbaren Endpunkt hin ergründen. Es werden in der Praxis beide Wörter aber oftmals als zumindest in großen Teilen bedeutungsgleich verwandt.

    Wenn es eine stabile inhärente Bedeutung von Signifikanten gäbe, hätten wir das Problem nicht; dem ist aber leider in einer auf Konvention beruhenden Beziehung zwischen Bedeutendem und Bedeutetem nicht so, weshalb ein Ignorieren kein Problem löst.


    Dass das nicht-Ingorieren anstrengend ist, gebe ich unumwunden zu. Der Sprachgebrauch von Menschen hat aber (leider oder zum Glück) einen deutlich größeren Einfluss auf unsere Welt als unsere Filmzimmer.

    Was bestimmte Wörter und Ausdrücke angeht, müssen wir uns auch zwingen, nicht nur die etymologische Seite zu betrachten, die eine Verwendung in den meisten Fällen rechtfertigt.


    Die zeitgenössische Betrachtung der pragmatischen Seite zeigt dann aber leider oft, dass es zum oben beschriebenen "Kapern" kommt, dessen Unterbindung auf jeden Fall wünschens- und erstrebenswert ist.


    Bühne frei für die Reifizierung: Wie kann ich diese Wörter verwenden ohne ihnen oder ihrer untergeschobenen Bedeutung erneut Gewicht zu verleihen? Wenn man beispielsweise die binäre Unterscheidung von "männlich/weiblich" aufbrechen möchte, kommt man dennoch zumeist nicht umhin, diese Dichotomie zu verwenden und trägt somit gleichzeitig wieder zum Anwachsen ihrer gesamtkulturellen Konstruktionsmacht bei.


    Ein einfaches Ignorieren dieser Sachverhalte löst das Problem nicht; frei nach Umberto Eco ~"für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Lösung... und die ist die falsche" ;)

    Insgesamt sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass menschliche Sprachen nicht bloß ein abstraktes System von kombinierten Signifikanten (im Falle z. B. westeuropäischer Sprachen) sind, das man außerhalb dieser Funktion als nicht existent und damit wirkungslos betrachten kann, sondern dass sie unser Sein und die Gesellschaft prägen und tatsächlich (mit)erschaffen.


    Von daher ist Repräsentation von Signifikaten in einer Sprache kein Luxus, sondern geradezu eine Notwendigkeit, da wir ja nicht auf Kategorisierung verzichten können, weshalb wir möglichst differenziert zu repräsentieren versuchen sollten.


    Konkret: Wenn ich einen Menschen als 'Mädchen' bezeichne, ist dies mehr eine Zuschreibung als eine Beschreibung. Wenn ich gar keine Bezeichnung vornehme, unterbinde ich Repräsentation.

    Das ist wieder so ein Ausspruch, wie ich eingangs schon meinte. Viele in meinem Freundeskreis benutzen das als tolerant gemeinte Floskel = jedem wie er es gern hätte. Den meisten ist die Herkunft nicht bewusst und auch egal und spätestens an diesem Punkt sollte man den Gebrauch auch wieder vorurteilsfrei zulassen und das meine ich nicht aus Ignoranz. Ich halte es schlicht für eine unnötige selbstgeisselung.

    Schwierig, da man die Benutzungen dann nicht mehr unterscheiden kann.

    Das sehe ich im kleinstkindesalter noch anders. Da finde ich den Vergleich durchaus überlegenswert.

    Jein, da die Konzeptualisierung der Welt durch Sprache womöglich bereits zuvor einsetzt.


    Es ist aber auch nicht zwingend zielführend hier zu spekulieren, wenn es doch handfeste gesellschaftliche Probleme zu lösen git.


    Beispiel aus der Wirtschaft: Frauen bekommen im Schnitt weniger Geld für ihre Arbeit.


    Einfache (aber zu kurz greifende) Erklärung: Sie bekommen im Schnitt geringere Gehälter, da sie im Schnitt Arbeiten verrichten, die geringer entlohnt werden.


    Damit ist der Sachverhalt geklärt, die Frage, die sich anschließt, zeigt jedoch das Handlungsfeld: Warum ist dies so?


    Eine Antwort auf diese Frage wäre wiederum, dass sie zumeist in Berufe gehen, die sich mit der Kindererziehung vereinbaren lassen.


    Daran schließen sich dann weitere Fragen an.

    Oder anders gesagt: Du kannst es als Eltern noch so toll finden dass Dein Sohn so gerne häkelt, wenn er dafür in der Schule von allen ausgelacht wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht klein dass er es irgendwann dann doch lässt (und somit das Umfeld gewinnt).

    Daher wäre es gesamtgesellschaftlich auf jeden Fall wünschenswert, wenn man sich dieser Strukturen bewusst würde und gemeinsam an ihrer Enthärtung arbeitete.


    Beispiel aus der Geschichtsschreibung: Es gibt bis heute keine andere Geschichtsschreibung der Kolonialisierung Nordamerikas, als die ihrem Ursprung nach europäische; zumindest nicht im gängigen Kanon, was nicht heißt, dass man sie nicht braucht.